An der Delegiertenversammlung der CVP in Bern war die
Tonalität der Politiker anders. Die Initiative gefährde den nationalen
Zusammenhalt, sagte Nationalratspräsident Dominique de Buman: „Die
verschiedenen Sprachregionen brauchen eine ausgewogene Information in ihrer
eigenen Sprache.“ Mit 248 zu 12 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen die
Delegierten der CVP die Nein-Parole zur Vorlage.
Die Wissenschaft ohne Service Public
Die Annahme der No-Billag-Initiative hätte auch einschneidende
Folgen für die Wissenschaft. Darum haben die Akademien der Wissenschaften
Schweiz die Konsequenzen in Zusammenarbeit mit Medien-ExpertInnen aufgelistet:
Beendigung des Bildungsauftrages von Radio- und Fernsehen, Gefährdung des
Dialogs zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft, Gefährdung der Qualität
der Wissenschaftsberichte,
Schwächung der Transparenz zur Verwendung öffentlicher
Gelder für die Legitimität der Forschung sowie die Einschränkung der
Sichtbarkeit von ExpertInnen der Schweiz. Mit dem Ende des Service Public würde
die Medienvielfalt massiv eingeschränkt. Besonders private Radio- und Fernsehstationen beschäftigen
primär Allround-JournalistInnen und keine spezialisierten WissenschaftsjournalistInnen
wie die SRG.
Die dänische No-Billag-Krise
95 Prozent aller Dänen nutzen mindestens einmal pro Woche
ein Angebot des staatlichen Rundfunks. Das Fernsehen produziert sechs Programme
für verschiedene Alters- und Zielgruppen. Jeder dänische Haushalt zahlt
umgerechnet 400 Franken pro Jahr. Ausgerechnet die rechtspopulistische Dänische
Volkspartei fordert jetzt eine 25-prozentige Budgetkürzungen, eine
Neudefinition des Service public und eine Verkleinerung des Programmangebots. „Das Magazin“ (Tages-Anzeiger
27.1.2018) hat die Chefin Maria Rørbye Rønn des dänischen Fernsehens zum Service Public
befragt: „Wir haben in Dänemark die paradoxe Situation, dass manche das
Programm lieben, aber gegenüber der Institution und auch gegenüber der Idee,
Gebühren zahlen zu müssen, negativ eingestellt sind“, sagt sie. Es sei ihre
Aufgabe zu erklären, dass Qualität etwas kostet und dass die Institution eine zentrale
Funktion habe. Das Programm müsse allen Dänen zur Verfügung stehen, damit sie den
wichtigsten Debatten im In- und Ausland folgen könnten. Sie wolle mit ihrem
Sender auch dänische Kunst, Kultur, Sprache und Identität vermitteln als gemeinsamen
Nenner für alle Menschen im Land. Stammt die Krise rund um den Service-Public aus
der schweizerisch, populistischen Meinungsmaschine, oder ist sie möglicherweise
ein Echo auf die dänische?
Die Schweiz ohne SRG
Der NZZ-Medienjournalist Rainer Stadler entwirft das
Szenario, wie die Schweiz ohne SRG aussähe (NZZ 27.1.2018): „Nehmen wir einmal
an, das Volk stimmt im kommenden März der Vorlage zu, und nehmen wir an, dass das
Parlament den Verfassungsauftrag beim Wort nimmt. Dann müssten die Radio- und
Fernsehgebühren innert einem bis zwei Jahren abgeschafft werden. Weil damit der
SRG innerhalb kurzer Zeit drei Viertel ihrer Einnahmen fehlen würden, wäre eine
Betriebsschliessung oder eine drastische Verkleinerung die wahrscheinlichste
Konsequenz.“ Stadler glaubt, dass die SRG den Betrieb einstellen würde, da mit
dem Erlöschen des öffentlichen Auftrages die SRG keine Existenzberechtigung
mehr habe. Eine Bresche auf dem Fernsehmarkt wäre vorprogrammiert – verknüpft
mit einem Stresstest für die Werbewirtschaft. Sie müsste sich neu ausrichten, andere
Investitionspläne entwerfen bzw. sich neu erfinden: „Knapp die Hälfte der
Fernsehwerbung (plus Sponsoring) fliesst nämlich in SRG-Kanäle – rund 300
Millionen Franken; Tendenz sinkend. Es wäre unwahrscheinlich, dass ein
einzelner Akteur die Lücke des jetzigen Marktführers schliessen würde. Der
Medientrend läuft nämlich in Richtung Segmentierung. Deutlich zu beobachten ist
dies in Deutschland, wo selbst die grossen Sender unter den Zuschauern nicht
mehr als 15 Prozent Marktanteile erreichen. Die SRG kommt auf das Doppelte“,
schreibt Rainer Stadler. Sein Zukunftsszenario endet düster im Bereich der
Kultur, der werde der freie Markt noch viel weniger als im Bereich der
Information kompensieren können. https://www.nzz.ch/feuilleton/medien/wie-die-medien-schweiz-ohne-srg-aussaehe-ld.1350395
Kultursterben im freien
Markt und Weltwoche Daily
„Eine Demokratie
kann nicht auf Öffentlichkeit verzichten. Und es gibt nun mal keine
Öffentlichkeit ohne Leitmedien. Sender wie die ARD oder das SRF sind zum Glück
noch immer gross und wichtig genug, um die Funktion eines Leitmediums erfüllen
zu können. Was sich etwa daran zeigt, dass die Leute in Krisenfällen trotz
aller Kritik eben doch wieder den öffentlich-rechtlichen Sender einschalten.
Schlicht, weil sie nach verlässlicher Information suchen“, sagt Alexander
Kluge, der deutsche Film- und TV-Macher (Tages-Anzeiger, 29.1.2018). In einem
guten Fernsehprogramm sind Polit- und Kulturberichterstattung verschränkt,
berichtet Kluge. Dünkelhaft dürften Kultursendungen auf keinen Fall sein, sie
dürften auch Schwieriges als etwas Schwieriges darstellen. „Die Zuschauer sind
übrigens klüger und neugieriger, als die meisten TV-Macher meinen“, so Kluge.
Im freien TV-Markt werde jedoch intelligentes Fernsehen nicht überleben.
„Unsere Sendungen wurden im Privat-TV sukzessive auf schlechtere Sendeplätze
verschoben, irgendwann wurden sie um drei Uhr morgens ausgestrahlt. Im Programm
waren sie von Anfang an nur, weil ein Gesetz Fensterprogramme vorschrieb. Das
ist das Schicksal des Kulturfernsehens im freien Markt. Freier TV-Markt
bedeutet, die Entertainment-Autobahn zu verbreitern.“ Alexander Kluge sieht
sich auch auf Youtube Filme an. Er sei nicht negativ zum Web eingestellt, mit
den Onlineforen sei die brechtsche Radiotheorie, die jeden passiven Zuhörer in
einen potenziellen Sender verwandle, zur Realität geworden. In den nächsten
Wochen wird sich Alexander Kluge auf youtube auch Videos von Roger Köppel
anschauen können. Dieser lanciert mit dem vollmundigen Titel „Weltwoche Daily“
ein Video-Format, das Montag bis Donnerstag erscheint. Alle, die sich für die Weltanschauung
des Schweizer Nationalrates interessieren, werden nach der Versuchsphase 16
Franken pro Monat bezahlen müssen: 192 Franken im Jahr für vier wöchentliche
Video-Schaltungen – auch ein Zukunftsszenario für ein Leben ohne
Service-Public! https://www.youtube.com/watch?v=ai3nhSrrCbM
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