Der Service Public in der Klemme

 Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
 „Die Billag-Gebühren sind Gift für die Schweizer Medienlandschaft“, sagte Roger Köppel, „Weltwoche“-Chefredaktor und SVP-Nationalrat an der SVP-Delegiertenversammlung am 27. Januar 2018. Weil sie am Staatstropf hänge, denke die SRG auch wie der Staat, kritisierte Köppel weiter. Landesweit sei es problemlos möglich, das Informationsbedürfnis mit privaten Presseerzeugnissen und elektronischen Medien in allen Landessprachen abzudecken. Die SVP-Delegierten in Confignon GE empfahlen die Initiative mit 239 Ja gegen 17 Nein bei 5 Enthaltungen zur Annahme.
An der Delegiertenversammlung der CVP in Bern war die Tonalität der Politiker anders. Die Initiative gefährde den nationalen Zusammenhalt, sagte Nationalratspräsident Dominique de Buman: „Die verschiedenen Sprachregionen brauchen eine ausgewogene Information in ihrer eigenen Sprache.“ Mit 248 zu 12 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen die Delegierten der CVP die Nein-Parole zur Vorlage.

Die Wissenschaft ohne Service Public
Die Annahme der No-Billag-Initiative hätte auch einschneidende Folgen für die Wissenschaft. Darum haben die Akademien der Wissenschaften Schweiz die Konsequenzen in Zusammenarbeit mit Medien-ExpertInnen aufgelistet: Beendigung des Bildungsauftrages von Radio- und Fernsehen, Gefährdung des Dialogs zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft, Gefährdung der Qualität der Wissenschaftsberichte,
Schwächung der Transparenz zur Verwendung öffentlicher Gelder für die Legitimität der Forschung sowie die Einschränkung der Sichtbarkeit von ExpertInnen der Schweiz. Mit dem Ende des Service Public würde die Medienvielfalt massiv eingeschränkt. Besonders private Radio- und Fernsehstationen beschäftigen primär Allround-JournalistInnen und keine spezialisierten WissenschaftsjournalistInnen wie die SRG.

Die dänische No-Billag-Krise
95 Prozent aller Dänen nutzen mindestens einmal pro Woche ein Angebot des staatlichen Rundfunks. Das Fernsehen produziert sechs Programme für verschiedene Alters- und Zielgruppen. Jeder dänische Haushalt zahlt umgerechnet 400 Franken pro Jahr. Ausgerechnet die rechtspopulistische Dänische Volkspartei fordert jetzt eine 25-prozentige Budgetkürzungen, eine Neudefinition des Service public und eine Verkleinerung des Programmangebots. „Das Magazin“ (Tages-Anzeiger 27.1.2018) hat die Chefin Maria Rørbye Rønn des dänischen Fernsehens zum Service Public befragt: „Wir haben in Dänemark die paradoxe Situation, dass manche das Programm lieben, aber gegenüber der Institution und auch gegenüber der Idee, Gebühren zahlen zu müssen, negativ eingestellt sind“, sagt sie. Es sei ihre Aufgabe zu erklären, dass Qualität etwas kostet und dass die Institution eine zentrale Funktion habe. Das Programm müsse allen Dänen zur Verfügung stehen, damit sie den wichtigsten Debatten im In- und Ausland folgen könnten. Sie wolle mit ihrem Sender auch dänische Kunst, Kultur, Sprache und Identität vermitteln als gemeinsamen Nenner für alle Menschen im Land. Stammt die Krise rund um den Service-Public aus der schweizerisch, populistischen Meinungsmaschine, oder ist sie möglicherweise ein Echo auf die dänische?

Die Schweiz ohne SRG
Der NZZ-Medienjournalist Rainer Stadler entwirft das Szenario, wie die Schweiz ohne SRG aussähe (NZZ 27.1.2018): „Nehmen wir einmal an, das Volk stimmt im kommenden März der Vorlage zu, und nehmen wir an, dass das Parlament den Verfassungsauftrag beim Wort nimmt. Dann müssten die Radio- und Fernsehgebühren innert einem bis zwei Jahren abgeschafft werden. Weil damit der SRG innerhalb kurzer Zeit drei Viertel ihrer Einnahmen fehlen würden, wäre eine Betriebsschliessung oder eine drastische Verkleinerung die wahrscheinlichste Konsequenz.“ Stadler glaubt, dass die SRG den Betrieb einstellen würde, da mit dem Erlöschen des öffentlichen Auftrages die SRG keine Existenzberechtigung mehr habe. Eine Bresche auf dem Fernsehmarkt wäre vorprogrammiert – verknüpft mit einem Stresstest für die Werbewirtschaft. Sie müsste sich neu ausrichten, andere Investitionspläne entwerfen bzw. sich neu erfinden: „Knapp die Hälfte der Fernsehwerbung (plus Sponsoring) fliesst nämlich in SRG-Kanäle – rund 300 Millionen Franken; Tendenz sinkend. Es wäre unwahrscheinlich, dass ein einzelner Akteur die Lücke des jetzigen Marktführers schliessen würde. Der Medientrend läuft nämlich in Richtung Segmentierung. Deutlich zu beobachten ist dies in Deutschland, wo selbst die grossen Sender unter den Zuschauern nicht mehr als 15 Prozent Marktanteile erreichen. Die SRG kommt auf das Doppelte“, schreibt Rainer Stadler. Sein Zukunftsszenario endet düster im Bereich der Kultur, der werde der freie Markt noch viel weniger als im Bereich der Information kompensieren können. https://www.nzz.ch/feuilleton/medien/wie-die-medien-schweiz-ohne-srg-aussaehe-ld.1350395

Kultursterben im freien Markt und Weltwoche Daily
„Eine Demokratie kann nicht auf Öffentlichkeit verzichten. Und es gibt nun mal keine Öffentlichkeit ohne Leitmedien. Sender wie die ARD oder das SRF sind zum Glück noch immer gross und wichtig genug, um die Funktion eines Leitmediums erfüllen zu können. Was sich etwa daran zeigt, dass die Leute in Krisenfällen trotz aller Kritik eben doch wieder den öffentlich-rechtlichen Sender einschalten. Schlicht, weil sie nach verlässlicher Information suchen“, sagt Alexander Kluge, der deutsche Film- und TV-Macher (Tages-Anzeiger, 29.1.2018). In einem guten Fernsehprogramm sind Polit- und Kulturberichterstattung verschränkt, berichtet Kluge. Dünkelhaft dürften Kultursendungen auf keinen Fall sein, sie dürften auch Schwieriges als etwas Schwieriges darstellen. „Die Zuschauer sind übrigens klüger und neugieriger, als die meisten TV-Macher meinen“, so Kluge. Im freien TV-Markt werde jedoch intelligentes Fernsehen nicht überleben. „Unsere Sendungen wurden im Privat-TV sukzessive auf schlechtere Sendeplätze verschoben, irgendwann wurden sie um drei Uhr morgens ausgestrahlt. Im Programm waren sie von Anfang an nur, weil ein Gesetz Fensterprogramme vorschrieb. Das ist das Schicksal des Kulturfernsehens im freien Markt. Freier TV-Markt bedeutet, die Entertainment-Autobahn zu verbreitern.“ Alexander Kluge sieht sich auch auf Youtube Filme an. Er sei nicht negativ zum Web eingestellt, mit den Onlineforen sei die brechtsche Radiotheorie, die jeden passiven Zuhörer in einen potenziellen Sender verwandle, zur Realität geworden. In den nächsten Wochen wird sich Alexander Kluge auf youtube auch Videos von Roger Köppel anschauen können. Dieser lanciert mit dem vollmundigen Titel „Weltwoche Daily“ ein Video-Format, das Montag bis Donnerstag erscheint. Alle, die sich für die Weltanschauung des Schweizer Nationalrates interessieren, werden nach der Versuchsphase 16 Franken pro Monat bezahlen müssen: 192 Franken im Jahr für vier wöchentliche Video-Schaltungen – auch ein Zukunftsszenario für ein Leben ohne Service-Public! https://www.youtube.com/watch?v=ai3nhSrrCbM

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