Unsere Gender-Fabrik und die Agenda 2030 der UNO

Dr. Franca Siegfried Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Der Vorstoss von Nationalrätin Maya Graf für eine angemessene Vertretung der Geschlechter im Bundesrat ist missglückt. Wird der Kampf um eine Frauenquote im Bundesrat weitergehen? Die Fraktionschefin der BDP, Rosmarie Quadranti, beispielsweise findet es einfach nur tragisch, wenn es am Schluss eine gesetzliche Regelung brauche, bis diese Männerwelt im Parlament endlich begreife, dass gemischte Gremien viel erfolgreicher seien (NZZ 12.1.2018). Die Leier zur Gleichstellung der Frau ist ein Thema, das manche in Wut versetzt, andere zum Gähnen bringt. Die Vereinten Nationen, die UNO verlangt von seinen Mitgliedstaaten, dass sie das Ziel für nachhaltige Entwicklung Nummer 5 „Geschlechtergleichheit“ bis ins Jahr 2030 erreicht haben. Tatsache ist, dass es in der Schweiz noch viel zu tun gibt...

Gläserne Decke
Die Diskussion um die Geschlechterverteilung im Bundesrat ist nicht zuletzt auch Spiegel der Gesellschaft – von der Welt der Politiker – zur Welt der Banker. Knapp die Hälfte der Bankangestellten sind weiblich. Im mittleren Management beträgt der Anteil der Frauen 19, im Topmanagement 11 Prozent. Nadia Aebli hat im Rahmen ihrer Masterarbeit am Swiss Finance Institute 1000 Frauen, die in Schweizer Banken arbeiten, befragt: Was hält Frauen von einer Führungsaufgabe in der Bankindustrie ab? 94 Prozent von ihnen sehen als eines der Hindernisse die männlich geprägte Kultur mit harten Diskussionen, Machtdemonstrationen in Sitzungen und kaum Rücksicht auf Emotionen. Aeblis Befund klärt auf, weshalb die Anstrengungen der Banken mit Förderprogramm, Mentoring und internen Quotenziele ins Leere laufen. Ein weiteres Problem ist auch die sogenannte Face-Time-Kultur: Engagement und Leistung werden mit Anwesenheit im Büro gleichgesetzt. Frauen mit Kindern, die öfters auf Teilzeitpensen angewiesen sind, haben in diesem Deutungsmuster keine Chance. Zudem können sie mit der Doppelrolle Mutter und Bankerin auch weniger Zeit in die Pflege eines beruflichen Netzwerkes investieren (SonntagsZeitung, 14.1.2018).

Doing Gender
Junge Frauen treten nach ihrer Ausbildung in einen Arbeitsmarkt, der Kompetenzen in frauentypischen Berufen geringer schätzt als in männertypischen. Diese selektive Weichenstellung ist diskriminierend und „genderungerecht“. Unser Schulsystem fördert tatsächlich immer noch Grundlagen für einen Lebensverlauf, der Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zementiert. Das Schulsystem kümmert sich auch um keine systematische Gleichstellungspolitik, etwa um eine gerechtere Verteilung für die „Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf. Entsprechend findet auch die weibliche Berufswahl im Kontext eines von traditionellen Geschlechterrollen geprägten Systems statt. Frauen wählen häufig eine Ausbildung, die Teilzeitarbeit ermöglicht und sie auf ihre Mutterrolle vorbereitet, etwa im Bereich der Pflege und Erziehung. Diese in jungen Jahren getroffenen „Entscheidungen“ haben nachhaltige Auswirkungen und verstärken die Verletzbarkeit von Frauen im Fall einer Scheidung. Farinaz Fassa, der Autor der Studie „Filles et garçons face à la formation –
Les défis de l'égalité“ (2016) schreibt nicht nur Klartext, sondern hat auch Lösungsvorschläge, die Politiker und Verantwortliche im Bildungssystem ernst nehmen müssten. Die Zeit drängt! Die Vereinten Nationen, die UNO verlangt von der Schweiz, dass sie das Ziel Nummer 5 „Geschlechtergleichheit“ bis 2030 einlöst. Und ein Bildungssystem zu reformieren in unserem föderalistischen Land, das ist ein zeitraubendes Projekt, wie aktuelle Beispiele beweisen.

Schlusslicht Schweiz
Die Gleichstellung der Geschlechter ist ebenfalls in London ein aktuelles Thema: 160 Banken und Versicherungen mit 600 000 Angestellten haben sich der Charta zur Förderung der Frauen angeschlossen. Die höheren Kader sollten bis in drei Jahren mit einem Drittel Frauen besetzt sein. Jede vierte Firma verschreibt sich sogar selber eine Quote von 50 Prozent. Auch die Schweizer Konzerne Credit Suisse und Zurich sind an der Charta beteiligt: Sie wollen in zwei Jahren die Frauenquote im Management auf 35 Prozent hochschrauben – aber nur in England! Gemäss einer Studie der Executive-Search-Firma Heidrick & Struggles liegt die Durchschnittsquote in Geschäftsleitungen im Finanzsektor bei 17 Prozent. Für dieses Resultat hat die Firma 14 europäische Länder analysiert. Norwegen liegt an der Spitze mit 38 und die Schweiz am Schluss mit 5 Prozent Frauen.
(Gelesen in der NZZ am Sonntag, 7.1.2018) 

#MeToo
Die Gleichstellungsdebatte hat sich in London City ausserdem durch die #MeToo-Bewegung zugespitzt. „Die berechtigten Anliegen hinter einer Bewegung wie #MeToo müssen diskutiert werden – unter Beachtung des medienethischen Grundsatzes allerdings, wonach Verdacht und erwiesene Schuld deutlich zu unterscheiden sind. Sonst wird aus #MeToo schon bald ein mediales #WeDo, eine Mitschuld durch Instrumentalisierung, die sich im Zeitalter von Wikileaks und Online-Prangern und einem stetig wachsenden Kreis von Akteuren schnell verselbständigt,“ schreibt Claudia Schwartz in der NZZ (13. 1.2018). Der Weinstein-Skandal hat viel dazu beigetragen, dass eine breite Öffentlichkeit darüber nachdenkt, welche Werte zwischen Frauen und Männern gelten müssen. Mit dieser Debatte ist auch das Ziel für nachhaltige Entwicklung Nummer 5 der UNO in den Fokus geraten. Sicherlich ist Hollywood als Soziotop für Glanz, Jugend, Schönheit und Macht besonders gefährdet für Missbräuche – aber auch in unserem Land existiert sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel, häusliche Gewalt und Zwangsheirat. In einer Tagung der SAGW-Veranstaltungsreihe „UN Sustainable Development Goals“ am 15. Februar wird die Gewalt gegen Frauen in der Schweiz thematisiert.
https://www.nzz.ch/feuilleton/metoo-die-medien-und-die-liebe-zum-skandal-ld.1346791

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