„In welchem Style sollen wir bauen?“

Von Anna Minta, Universität Zürich

Mit der im 19. Jahrhundert häufig gestellten Frage „In welchem Style sollen wir bauen?“ (Heinrich Hübsch, 1828) verbanden sich nicht nur pragmatische Überlegungen zum Einsatz von Baumaterialen aufgrund ihrer materiellen wie konstruktiven Eigenschaften. Bau- und Stilformen sollten stärker mit der Nutzung und gesellschaftlichen Funktion eines Gebäudes in Einklang gebracht werden. Mit dem zunehmenden Wissen zur Geschichte der Baukunst und ihrer Stilentwicklungen und infolge der Aufforderung, sich aus dem doktrinären Regelwerken der Akademien zu lösen, stand Architekten nun eine Vielzahl von Stilvorbildern und Ornamentformen für ihre Entwurfsarbeit zur Verfügung. Insbesondere bei öffentlichen Bauprojekten erkannten Architekten und Bauherren gleichermassen das Potential, über Stil, Bauformen und Dekorationsprogramme neben funktionsspezifischen Verweisen auch allgemeine soziokulturelle und politische Werte zu vermitteln.

Im Zeitalter des Nationalismus entstanden vielfach Versuche, nationale Architektursprachen zu entwickeln, so auch in der Schweiz mit der Formierung des modernen Bundesstaates nach dem Sonderbundskrieg 1847. In den Berner Bundesbauten zeigen sich die ambitionierten Bemühungen, ein architektonisch-ikonografisches Bildprogramm zu etablieren, das die gemeinsame Geschichte, kulturelle Verfasstheit und politischen Werte des Landes und der Nation im Dienst der nationalen Identitätsstiftung vor Augen führt. Waren diese Versuche noch ganz den künstlerischen Konzepten des Historismus verbunden, so zeigen spätere Projekte im 20. und 21. Jahrhundert eine zunehmende Abstraktion in der Vermittlung nationaler Werte und Qualitäten. Anhand eidgenössischer Bauten wie jüngst die Gerichtsbauten in St.Gallen und Bellinzona, v. a. aber auch an den Schweizerischen Landesausstellungen wird in dem Vortrag gezeigt, wie Identitätsstiftung und „geistige Landesverteidigung“ neue Ausdruckformen in der Moderne suchen.


**********************
Die Architektursprache des Nationalen: Die Thematisierung der Schweiz in Staatsbauten
Datum: 27. August 2015
Ort: Rathaus zum Äusseren Stand, Bern








Eine Veranstaltung aus der Reihe «La Suisse existe – La Suisse n'existe pas»
**********************

Kommentare