Erben die Richtigen? - Das Erbrecht und die persönlichen Beziehungen

Beitrag von Prof. Dr. Peter Breitschmid, Universität Zürich

Zwar liegt nun der Bericht „Modernisierung des Familienrechts“ zum Postulat Fehr vor, und fasst zusammen was sich der Bundesrat alles unter Familie vorstellen kann. Man darf aber annehmen, dass darüber auch eine Generation später wieder (oder noch immer) diskutiert werden wird. Das wird ohne Zweifel auch für die Vorstellung, wer beim Tod eines Menschen zu dessen persönlichem Umfeld gezählt wird, massgeblich sein. Es ist ja eigentlich erstaunlich, dass nach Art. 378 ZGB Personen zur Vertretung über medizinische Behandlungsfragen berechtigt sind, die nicht erbberechtigt sind – ob es richtig ist, von Gesetzes wegen derart diametrale Unterschiede zwischen persönlichen und ökonomischen Belangen zu machen? Oder ob es einfach den um ein Jahrhundert verschiedenen Entstehungszeitpunkt der Normen abbildet?

Die Art. 457-640 ZGB regeln (nur), was mit dem Vermögen einer verstorbenen Person nach deren Tod geschieht; der integrale Übergang von Aktiven und Passiven (in einer wohlhabenden Volkswirtschaft wie der schweizerischen meist ein Aktivenüberschuss) qua «Universalsukzession» auf einen definierten Kreis von Verantwortlichen ist für das Funktionieren des gesamten rechtsgeschäftlichen Verkehrs zentral, denn würden Forderungen gleichzeitig mit dem Schuldner ‚sterben’, wären manche Gläubiger schon zu Lebzeiten wirtschaftlich tot. Das Problem liegt darin, dass das persönliche Umfeld etwas drängender um’s Krankenbett steht, als dass es sich um die Schuldendeckung und die Räumung von wertlosem Hausrat bemüht. Verwandte mögen sich dabei allenfalls noch ganz traditionell etwas ‚verpflichteter’ fühlen, doch erlischt solche Bereitschaft in bereits jahrzehntelang abgekühlten Beziehungen natürlich rasch; soweit gesetzliche oder gar pflichtteilsgeschützte, aber auch testamentarisch begünstigte Erben allerdings Ansprüche auf Nachlassaktiven haben, ist gewährleistet, dass deren Ansprüchen auch die entsprechenden Verpflichtungen gegenüberstehen. An diesem Mechanismus lässt ist in einer auf Privateigentum gründenden Verfassungs- und Rechtsordnung nicht grundsätzlich etwas zu ändern.

Dass indes Persönliches und Wirtschaftliches verwoben sind, ist gerade in einer materiellen Werten nicht grundsätzlich abgeneigten Gesellschaft unverkennbar. Dass zudem Leben, Gesundheit, Beziehungen, Altern, Sterben und Erben über die rein finanziellen Aspekte hinaus immer auch eng mit immateriellen Befindlichkeiten und persönlichen Beziehungen verknüpft sind (und verknüpft werden), braucht auch nicht erläutert zu werden: Beziehungen unter Mitmenschen bringen auch wirtschaftliche Verflechtungen oder gar Abhängigkeit – in wechselnden Konstellationen – mit sich. Das Recht kann die persönlichen Feinheiten solcher Netzwerke nicht filigran nachzeichnen, sondern stützt sich zwangsläufig auf Vermutungen. Die bislang wichtigste ist jene, die sich aus dem Zivilstandsregister ergibt: Wer im «Beziehungs-Grundbuch» verzeichnet ist, gilt «von Amtes wegen» als nahestehend und damit in Rechte und Pflichten qualifiziert eingebunden; insofern ist wichtig, dass das Zivilstandsregister ein möglichst realistisches Bild von Beziehungen gibt, und insofern hat der traditionellen «Beziehungs-Status» nicht völlig ausgedient. Die Frage, wie den vielfältigen weiteren biografisch relevanten faktischen Beziehungen die verdiente Beachtung entgegengebracht werden könnte, ist zentrales Thema der Überlegungen – aber auch bereits des rechtlichen Alltags (vgl. Art. 20a BVG).

Hinweis
SAGW-Tagung «Ehe und Partnerschaft zwischen Norm und Realität – Interdisziplinäre Tagung zur Zukunft des Schweizer Familienrechts»
Dienstag, 23. Juni 2015, Universität Bern (UniS)

Kommentare