Simones Erbe

Ein Blogeintrag von Prof. Dr. Monika Bütler 
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Es war meine Freundin Simone, die mich vor fast 10 Jahren -  beim Abholen unserer insgesamt vier Kinder – ermunterte: Meine Beobachtungen über die schrägen Anreize der Krippensubventionen aufzuschreiben. „Arbeiten lohnt sich nicht, ein zweites Kind noch weniger“ ist noch heute mein meistzitierter Aufsatz. Wissenschaftliche Meriten brachte er mir zwar keine, dafür viel mediale Aufmerksamkeit. Nach einer gewissen Zeit, wenigstens. Die erste Kurzfassung landete nämlich unbeachtet für mehrere Monate in den Schubladen der NZZ.

Als der Text in voller Länge schliesslich in einer wissenschaftlichen Zeitschrift erschien, war unser älterer Sohn bereits schulpflichtig. Und wir wie alle berufstätigen Eltern um eine Erfahrung reicher: Wenn die Kinder erst zur Schule gehen, erledigen sich die Probleme nicht - sie fangen erst an.
In vielen Kantonen schreibt das Volksschulgesetz den Gemeinden zwar vor, eine Tagesbetreuung für die Kinder zu gewährleisten. Diese sieht dann aber so aus: Vorschulbetreuung im Hort mit Gruppe A, Unterricht in der Klasse im Schulhaus ennet der Strasse, Mittagstisch mit Gruppe B, Unterricht in der Klasse im Schulhaus, Nachmittagsbetreuung im Hort mit Gruppe C. Für teures Geld vier Wechsel, vier verschiedene Gruppen, zwei bis drei unterschiedliche Lokalitäten, mehrere Bezugspersonen. Kein Wunder tun dies viele Eltern ihren Kindern nicht an, sondern leisten sich eine private Tagesschule. Oder: die Mutter steckt beruflich zurück.

So sehr nämlich die Diskussion um die Finanzierung der personell so grosszügig zwangs-ausgestatteten Krippen immer noch richtig und wichtig ist, sie absorbiert viel politische Energie und enorme Steuermittel (weil eben die staatliche Regulierung so streng sind). Sie lenkt dabei ab von der gesellschaftlich viel relevanteren obligatorischen Schulzeit. Hier geht es längst nicht nur um die Vereinbarkeit Familie und Beruf, sondern auch um die Integration sozial und gesundheitlich schwächerer Kinder. Also derjenigen, die auf eine gute Ausbildung angewiesen sind und die später ebenfalls Familie und Beruf unter einen Hut bringen möchten.

Viele sozial benachteiligte Kinder kommen heute gar nie in den Genuss staatlicher Frühfördermittel. Sei es nur, weil deren – oft auch berufstätige - Eltern nicht wissen, wie sie an einen subventionierten Krippenplatz kommen. Immerhin mildert der in einigen Städten bereits implementierte Übergang zu Betreuungsgutscheinen die implizite Rationierung zu Gunsten der Schlauen.

Während sich also bei der vorschulischen Bildung etwas tut, liegt bei der obligatorischen Schulzeit noch vieles im Argen. Das fängt schon im Kindergarten an. Aus unerfindlichen Gründen sind die vorgeschriebenen Betreuungsverhältnisse deutlich schlechter als in der freiwilligen Krippe (oder KiTa, wie man heute sagen muss). In Zahlen: In der Krippe ist auf circa fünf Kinder eine Betreuerin vorgeschrieben. Im Kindergarten genügt eine Person auf 20 Kinder. Müsste die Grosszügigkeit in der Betreuung nicht eher umgekehrt sein? Immerhin ist der Kindergarten die erste Stufe unseres Bildungssystems, von welcher wirklich alle Kinder profitieren. Und von der wir, spätestens seit den Arbeiten des Nobelpreisträgers James Heckman, wissen, dass sie gerade für sozial benachteiligte Kinder die wichtigste ist.

Weiter geht es dann mit dem oben schon angesprochenen Hortzirkus, einer Organisationsform, die nun wirklich nur für teilzeitlich berufstätige Lehrerinnen attraktiv ist. Noch fehlt der Mut, mit der ungeeigneten Tagesstruktur, der damit verbundenen Verschwendung von Steuergeldern und den Integrationsbarrieren für schwächere Kinder aufzuräumen. Allen Klagen zum Trotz: Es wird heute wenigstens über Alternativen (wie Tagesschulen) diskutiert. 

Simone, der ich mein Engagement für politische Reformen im Bereich der Kinderbetreuung teilweise verdanke, hat diese Diskussionen nur noch am Rande erlebt. Sie ist vor einigen Jahren viel zu früh gestorben. Ihre noch jungen Kinder erinnern mich immer wieder daran, dass die Familienexterne  Kinderbetreuung nicht erst seit dem Aufkommen selbstsüchtiger Karriereweiber eine wichtige und wertvolle Aufgabe der Gesellschaft ist. 


In loser Folge schreiben Expertinnen und Experten über Themen im Bereich «Vereinbarkeit Elternschaft und Arbeit» – nächste Veranstaltung am 5. Juni 2014 «Familienergänzende Kinderbetreuung: Erfahrungen, Rahmenbedingungen, Weiterentwicklung»

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